Die Studie "Nonprofit-Marketing im Schulbereich"
Die Studie "Nonprofit-Marketing im Schulbereich" fragt nach grundlegenden Mechanismen hinter der weltweiten Verbreitung des Bell-Lancaster-Systems. Dazu untersucht sie die Aktivitäten der BFSS und der National Society in deren Eigenschaft als weltweit präsente Organisationen, die über ihren Heimatkontext England hinaus maßgeblich an der Verbreitung des Bell-Lancaster-Systems beteiligt waren. Dieser Zugriff bietet sich an, weil formale Organisationen an der Herausbildung weltgesellschaftlicher Strukturen maßgeblich beteiligt waren und nach wie vor sind. Die BFSS und die National Society waren zwar keine internationalen Organisationen in dem Sinne, dass sie neben ihrer Zentrale in London über Dependancen in anderen Ländern verfügt hätten, doch hatten sie einen – jeweils unterschiedlich stark ausgeprägten – globalen Anspruch und waren weltweit umfassend vernetzt.
Im Zentrum von "Nonprofit-Marketing im Schulbereich" steht eine Analyse jener Aktivitäten, auf deren Grundlage die BFSS und die National Society ihre Arbeit finanzierten, denn dies bildete auch die Basis für ihr über England hinausgehendes Engagement, und damit für die weltweite Verbreitung des Bell-Lancaster-Systems. Hier legt die Arbeit dar, dass beide Organisationen das waren, was man heute als Nonprofit-Organisationen bezeichnet, das heißt Organisationen, die jenen oft als Dritter Sektor bezeichneten Bereich zwischen dem Staat auf der einen und der Privatwirtschaft auf der anderen Seite ausmachen, der derzeit zunehmend ins öffentliche Bewusstsein rückt. Als solche waren sie für ihre Finanzierung maßgeblich auf freiwillige Unterstützung angewiesen. Aufgrund der Tatsache, dass die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung begrenzt war und neben der BFSS und der National Society eine Vielzahl weiterer Nonprofit-Initiativen existierte, die sich ebenfalls um Mitglieder und Spender bemühten, war es für beide Gesellschaften von grundlegender Bedeutung, sich entsprechend gut zu verkaufen. Anhand moderner Marketingkonzepte als Analyseraster zeigt die Arbeit, dass man die Aktivitäten, die die BFSS und die National Society in dieser Richtung entfalteten, zu recht als eine frühe Form von Nonprofit-Marketing im Bildungsbereich bezeichnen kann. Wenn sie dabei bewusst mit modernen Konzepten operiert, so geht es ihr nicht darum, heutige Vorstellungen ungeprüft auf die Vergangenheit zu übertragen oder gar einer Ideologie des Marktes das Wort zu reden. Vielmehr will sie die Aktivitäten der BFSS und der National Society systematisch erfassen und gerade in ihrer historischen Eigenart beschreiben.
Die Abbildungen und Tabellen auf dieser Website beziehen sich auf einen wichtigen Aspekt der Arbeit der BFSS und der National Society: das über England hinausgehende, weltweite Engagement beider Gesellschaften. Hier untersucht "Nonprofit-Marketing im Schulbereich", welche außerhalb Englands gelegenen Weltregionen und Länder die beiden Gesellschaften jeweils im Blick hatten und wo sie sich jeweils auf welche Weise engagierten. In diesem Zusammenhang analysiert die Arbeit auch die weltweiten Kontaktnetze, in die die BFSS und die National Society eingebunden waren, denn Netzwerke zählen zu den zentralen Mechanismen bei der Verbreitung von Wissen, Normen und Einstellungen, kulturellen Praktiken et cetera. In methodischer Hinsicht lotet "Nonprofit-Marketing im Schulbereich" hier die Brauchbarkeit von Analyseverfahren aus, die auf dem Gebiet der historischen Bildungsforschung noch relativ neu sind. Die weltweiten Kontakte der BFSS und der National Society etwa wurden im Rückgriff auf grundlegende Konzepte und Verfahren der sozialen Netzwerkanalyse untersucht. Da die Informationen, die die dafür relevanten Quellen enthalten, jedoch derart umfangreich sind, dass sie mit den traditionell eher qualitativ-interpretativen Methoden historischer Forschung nicht mehr zu bearbeiten sind, erfolgte die Informationserfassung und -verarbeitung mit Hilfe einer Datenbank, die im Rahmen des Projekts "Nationalerziehung und Universalmethode" eingerichtet wurde. Deren Konzeption erlaubte es, die erfassten Informationen – insgesamt wurden rund 12000 Datensätze angelegt – für unterschiedlichste Fragestellungen differenziert auszuwerten. Mehr zur Konzeption und zur Funktionsweise der Datenbank finden sich im folgenden Abschnitt.
Auf der theoretischen Ebene schließlich setzt sich "Nonprofit-Marketing im Schulbereich" mit der auch für die weltweite Verbreitung des Bell-Lancaster-Systems konstitutiven Problematik des Verhältnisses von Diffusions- und Rezeptionsprozessen auseinander, die in jeweils unterschiedlicher Form in nahezu allen Fällen kulturellen Transfers auftritt. Denn obwohl sich die Studie auf den Aspekt der Diffusion konzentriert und die Frage, wie und aufgrund welcher kontextspezifischer Bedingungsfaktoren das Bell-Lancaster-System in unterschiedlichen Rezeptionskontexten vor Ort umgesetzt wurde, nicht in ihrem primären Interesse liegt, kann es den Aspekt der Rezeption nicht ignorieren. Eine Trennung dieser Aspekte ist zu forschungspraktischen Zwecken zwar möglich, doch entfalten beide Perspektiven ihre volle Erklärungskraft erst dann, wenn man sie auf der analytischen Ebene wieder zusammenbringt. So stand, um Befunde anzudeuten, die in der Studie eingehender beleuchtet werden, nicht von vornherein und unverrückbar fest, wer im Rahmen der weltweiten Verbreitung des Bell-Lancaster-Systems ein Agent der Diffusion und wer ein Agent der Rezeption war beziehungsweise welches Verbreitungsgebiet als Diffusionskontext und welches als Rezeptionskontext zu charakterisieren ist. Vielmehr waren die jeweiligen Rollen in hohem Maße veränderbar und wurden im Zuge komplexer Austauschbeziehungen zwischen den beteiligten Kontexten und Akteuren beständig re-definiert. So entwickelten sich, um einen Sachverhalt zu nennen, der in der Forschung zum Bell-Lancaster-System oft verkannt wird, in verschiedenen Rezeptionskontexten neue Varianten des Systems, die ihrerseits diffundierten und in wiederum anderen Kontexten einflussreicher wurden als die englischen "Originale". Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang darüber hinaus, dass auch der von Bell und Lancaster formulierte Idealtypus des Bell-Lancaster-Systems keineswegs statisch war, sondern fortlaufend verändert wurde. Dass Bell und Lancaster beziehungsweise die BFSS und die National Society dabei Elemente alternativer pädagogischer Konzepte sowie Erfahrungen der Anwender ihrer Modelle aufnahmen, zeigt, dass dabei selbst solche Akteure zu "Rezipienten" werden konnten, die primär als "Diffusoren" anzusehen sind – und umgekehrt. Die potentielle Dynamik von Diffusions- und Rezeptionsprozessen, die diese Beispielen verdeutlichen, wird auch außerhalb der Forschung zum Bell-Lancaster-System in der historischen Forschung insgesamt nicht immer ausreichend in Rechnung gestellt.